Donnerstag, 10. Dezember 2015

Marcel Mauss: Die Gabe



Mauss untersucht in seinem Text das soziale Phänomen des Austauschs von Gaben in archaischen Gesellschaften.


Dabei stellt er zunächst fest, dass frühere Wirtschafts- und Rechtsordnungen fast ausschließlich den Austausch zwischen Kollektiven, z.B. ganzen Clans oder Stämmen, betreffen, oft geschieht er durch Vermittlung ihrer Häuptlinge.  Bei den Gütern geht es seltener um materielle  Reichtümer, sondern vielmehr um Höflichkeiten, Rituale, Feste und Ähnliches.
Solche Leistungen und Gegenleistungen werden in einer freiwillig erscheinenden Form gebracht, also als eine Art Geschenk, dabei sind sie meist vorgeschrieben und verpflichtend.
All das wird unter dem Begriff System der totalen Leistungen zusammengefasst.


Eine totale Leistung besteht immer aus drei Verpflichtungen:

  1. Geschenke machen
  2. Geschenke annehmen
  3. Geschenke erwidern


Sich zu weigern, diesen Verpflichtungen nachzukommen, käme einer Kriegserklärung gleich, da man dadurch gleichsam Freundschaft und Gemeinschaft verweigert.
Der Austausch kann alles umfassen – Nahrung, Familie, Besitz, Arbeit,…  – und wird zu einem ständigen Geben und Nehmen zwischen verschiedenen Individuen, Clans, Generationen usw.



Dieses System gibt es offensichtlich auch heute noch in vielen Kulturen, wenn auch in abgeschwächter Form. Insbesondere im östlichen Raum gibt es ähnliche unausgesprochene Verpflichtungen, vor allem die Gastfreundschaft betreffend.
Bei Bekannten aus Eritrea und Jordanien, die jetzt in Deutschland wohnen, fällt mir immer wieder auf, wie viel Wert in ihren Kulturen darauf gelegt wird: Kommt man zu Besuch, wird sofort Tee und Gebäck angeboten, ein höfliches „Nein, danke“ wird selten akzeptiert und scheint die Gastgeber tatsächlich zu kränken; auch Erklärungen, wie etwa dass man gerade erst gegessen habe, sind wirkungslos. Sie sind es gewohnt, dass ein solches Angebot ganz selbstverständlich angenommen wird, genauso wie sie selbst als Gast nie ablehnen würden, wenn man ihnen etwas anbietet. Es geht nicht darum, ob man vielleicht hungrig ist oder gerade sowieso Zeit zum Kaffee trinken, sondern einfach darum, den sozialen Kontakt, die Beziehung, zu pflegen und das freundschaftliche Band durch diesen einfachen Akt auszudrücken.






Literatur:
Mauss, Marcel: Die Gabe. Form und Funktion des Austauschs in archaischen Gesellschaften, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1990, S. 20-25,S. 36-44.

Freitag, 4. Dezember 2015

Sherry B. Ortner: Verhält sich weiblich zu männlich wie Natur zu Kultur?



Ortner betrachtet in ihrem Text den untergeordneten Status der Frau in der Gesellschaft.
Dieser soll vorrangig in Hinblick auf menschliche Universalien untersucht werden, d.h. auf „Faktoren, die sich in der Struktur der allgemeinsten Situation aller Menschen, gleich welcher Kultur, finden“ (S. 121) – dazu gehören zum Beispiel der physische Körper und der Verstand.


Den Beweis dafür, dass eine Kultur Frauen als unterlegen ansieht, können 3 verschiedene Typen von Daten liefern:

  •  Elemente einer kulturellen Ideologie und Aussagen von Informanten, die Frauen explizit abwerten und ihnen in ihren Rollen und Aufgaben weniger Prestige als Männern einräumen
  • Symbolische Verfahren, die als implizite Aussagen über geringeren Wert interpretiert werden können
  • Soziostrukturelle Ordnungen, die Frauen von der Teilhabe an oder vom Kontakt mit einem Bereich ausschließen, in der die höchsten Autoritäten der Gesellschaft angesiedelt zu sein scheinen

Wenn einer oder sogar alle dieser Punkte in einer Kultur festgestellt werden, sieht Ortner dies als Beleg dafür, dass Frauen darin eine untergeordnete Rolle zugeschrieben wird. Auf dieser Grundlage behauptet sie, das sei in jeder bekannten Gesellschaft der Fall.
 
Die Begründung für die niedrigere Stellung der Frau sieht die Autorin darin, dass Frauen als der Natur näher stehend gesehen werden, während Männer eher mit Kultur in Verbindung gebracht werden. Dadurch übertrage sich das Verhältnis zwischen diesen beiden Zuständen auf das zwischen Männern und Frauen: Genau wie Kultur das Ziel verfolgt, sich von der Natur abzugrenzen und sich diese unterzuordnen, werden die Frauen den Männern untergeordnet.


Diese Ansicht, dass die Frau eher mit der Natur identifiziert wird, ergibt sich vor allem aus folgenden spezifischen Eigenschaften:

  1.  ihre Physiologie:
    der Körper der Frau ist darauf ausgerichtet, Kinder zu gebären, dadurch ist sie „zur bloßen Reproduktion des Lebens verdammt“
  2. ihre soziale Rolle:
    die Frau ist durch ihre Rolle als Mutter stärker an das häusliche Umfeld gebunden und leistet ihren (kleineren) Beitrag zur Kultur durch Erziehung der Kinder
  3. ihre Psyche:
    die Frau neigt beispielsweise dazu, subjektiver, pragmatischer und bodenständiger zu sein





Literatur:
Ortner, Sherry B.: "Verhält sich weiblich zu männlich wie Natur zu Kultur?" (1974), in: Kulturtheorie. Bielefeld: transcript 2010, S. 117-135.

Donnerstag, 26. November 2015

René Girard: Das Heilige und die Gewalt


Im Folgenden fasse ich einige Aussagen, die Girard im Textauszug zum Ritual des Opferns trifft, stichpunktartig zusammen.

  •  Das Ritualopfer beruht auf dem Konzept der Stellvertretung:
    Gewalt, die in einer Gesellschaft die eigenen, zu schützenden Mitglieder treffen könnte, wird auf ein anderes Individuum geleitet, dessen Tod unbedeutend(er) ist
  •  Im Opferkult sind diese Opfer fast immer Tiere
     ->
    als Opfer geeignet, wenn es dem nicht opferfähigen Lebewesen (Mensch) sehr ähnlich ist, der Unterschied allerdings noch klar genug erkennbar ist
     
    -> bei Menschenopfern fallen Außenseiter der Gesellschaft – z.B. Sklaven/Feinde – in die Kategorie „opferfähig“ (entscheidende Eigenschaft: keine soziale Beziehung zwischen Gemeinschaft und Opfer)
  • Ziel der Opferstellvertretung: die Gewalt soll als Feindin überlistet werden
    -> interne Gewalttätigkeiten sollen besänftigt und das Ausbrechen von Konflikten verhindert werden
  • die Opferung ist oft vorbeugend, Verbindung zur Theologie: von Gott wird angenommen, er verlange Opfer, damit sein Zorn besänftigt wird
    Anmerkung: An dieser Stelle fände ich es persönlich sehr interessant, diese Vorstellung in den verschiedenen Glaubensrichtungen zu untersuchen und vergleichen, da die genaue Funktion des Opfers in diesem Zusammenhang sicher etwas unterschiedlich ist, entsprechend der verschiedenen Gottesbilder. Das ginge aber schon sehr in die Theologie hinein.

  • Beispiele:
    Bibel:
    Kain und Abel, Jakobs Segnung durch seinen Vater Isaak
    griechische Mythologie:
    Odysseus‘ Flucht vor dem Zyklopen, Kindermord der Medea




Literatur:
René Girard: Das Heilige und die Gewalt, Frankfurt a.M.: Fischer Taschenbuch Verlag, 1992, S. 53 - 65.

Donnerstag, 19. November 2015

Van Gennep: Übergangsriten



In den Textauszügen befasst sich Van Gennep mit sogenannten Übergangsriten. 


Um die Bedeutung dahinter zu vermitteln, stellt er zunächst räumliche Übergänge als Modell solcher dar.
Dabei untersucht er insbesondere den magisch-religiösen Aspekt einer Grenzüberschreitung, wie sie vor allem bei Territorien halbzivilisierter Stämme stattfindet. Grenzen sakraler Stätten werden hierbei häufig durch natürliche Merkmale, wie zum Beispiel einen „heiligen“ Baum, markiert oder durch Gegenstände, wie ein errichtetes Tor, das mit all seinen Bestandteilen dann ebenfalls als heilig gilt. Diese Grenzen können durch Einweihungsriten eingeführt und bewacht werden, da eine Überschreitung - etwa von Zugehörigen eines anderen Stammes - verboten ist und als Sakrileg gilt.
Zwischen diesen Grenzen verschiedener Stämme gibt es so etwas wie „neutrale Zonen“, beispielsweise Wüstengebiete. Befindet man sich bei einem Übergang in dieser, schwebt man sich quasi zwischen zwei Welten, weshalb der Autor diese Zeit Schwellenphase nennt.


Direkte Übergangsriten gründen auf die Vorstellung, dass man die alte Welt verlässt und eine neue betritt.
Van Gennep unterteilt sie in folgende Phasen:

  • Trennungsriten (= Trennung von der alten Welt),
  • Schwellen- bzw. Umwandlungsriten (= Schwellenphase)
  • Angliederungsriten (= Angliederung an die neue Welt)


Wie solche Übergangsriten konkret aussehen können, demonstriert der Autor schließlich am Beispiel eines Initiationsritus zur Aufnahme in eine Totemgruppe.
Die 3 Phasen verlaufen dabei wie folgt:

  1. Der Junge muss das gewohnte Umfeld verlassen und wird von seiner Mutter getrennt
  2. Er verbringt nun eine bestimmte Zeit in Isolation und muss dabei verschiedene Tabus einhalten. Das hat eine körperliche und geistige Schwächung zufolge, die bewirken soll, dass er seine kindliche Vergangenheit vergisst und nun zum Mann werden kann.
  3.  Schließlich wird der Novize durch eine Zeremonie in den Stamm eingeführt
 So beschreibt der Übergangsritus den Übergang von einer alten in eine neue Lebensphase.




Literatur:
Arnold Van Gennep: Übergangsriten (Les rites de passage), Frankfurt a.M./New York: Campus 2005, 3. erweiterte Auflage, S. 26-33.